Siebecks Sommerseminar 2006 – Knochenzauber

Seine Königliche Hoheit, Prince Charles, englischer Thronfolger und Biogärtner, hat den »Mutton Renaissance Club« gegründet. Seine Mitglieder bekennen sich zur Delikatesse des Hammelfleischs. Die Gründungsfeier mit passendem Festessen fand im Londoner Hotel Ritz statt.

Man sieht, Hammelfleisch ist nicht nur aus unseren Küchen verbannt. Auch in England ist das traditionelle Sonntagsessen aus der Öffentlichkeit verschwunden. Prince Charles scheint das zu bedauern, deshalb der Club. Ich bedauere es auch. Denn Hammelfleisch gehört zu jenen Produkten, die uns vorenthalten werden, weil ihre Herstellung nicht rentabel ist (im Sinne der Massentierhalter). Hammelfleisch war aber auch wenig beliebt, weil es meistens von sehr alten Böcken stammte, die im Stall vor sich hin stanken. Orientreisende wussten von furchtbaren Essen zu berichten, zu denen sie eingeladen wurden, und in der englischen Küche galt die Hammelkeule mit Pfefferminzsauce als Symbol für kleinbürgerliche Vorstellungen von britischer Kochkunst. Ein Stück Hammelfleisch konnte tatsächlich schrecklich schmecken, wenn es alt und dick mit Fett besetzt war.

So entstand in Deutschland eine Aversion sogar gegen Lammfleisch, das bei erfahrenen Gourmets seit langem als delikateste Fleischsorte gilt. Erst nach und nach, nicht zuletzt durch Feinschmecker-Restaurants, errang Lammfleisch den Platz, der ihm gebührt. Eine perfekt gebratene Reihe Lammkoteletts ist nicht leicht zu übertreffen, auf keinen Fall durch Rindersteak oder Schweinekotelett. Und wer seine Gäste beeindrucken will, brät eine Lammkeule.

Eine ganze Keule reicht je nach Gewicht für entweder 5 oder 8 Personen. Nur sollte man sich vor dem Kauf entscheiden, ob man sie mit dem Knochen braten will oder entbeint und zusammengebunden. Letztere Arbeit sollte man unbedingt dem Metzger überlassen, der ist geübt darin. Allerdings wird er sich dabei nicht die gleiche Mühe machen wie der Hobbykoch. Also teilen wir uns die Arbeit, der Metzger und ich. Er operiert den Schenkelknochen heraus, ich säubere und präpariere das Fleisch. Das Stück, das er mir einpackt, sieht ziemlich übel aus. Es fehlt ihm nicht nur der stützende Knochen, es ist auch ziemlich zerfetzt. Jetzt heißt es, zu perfektionieren, was der Metzger hinterließ. Nämlich alle Sehnen und Knorpelstücke herausschneiden. Auch dicke Hautstücke, die in der fertig gebratenen Keule unangenehm auffallen würden, schneide ich weg. Vielleicht auch Fettstellen, wenn die mir zu dick vorkommen. Aber Lammfett ist kein Hammelfett! Es ist für den Wohlgeschmack unerlässlich.

Jetzt habe ich Gelegenheit, das Innere der Keule zu würzen, in die, solange sie nicht entbeint wird, kein Salz und kein Pfeffer hinreicht. Und nicht nur die beiden Standardgewürze! In einen schweren Mörser schütte ich einen gehäuften Esslöffel (oder 1½ EL) schwarze Pfefferkörner, 2 TL grobes Meersalz, 1 TL Pimentkörner und schrote alles zusammen, und zwar so, dass die Mischung nicht pulverisiert wird, sondern als Schrot kenntlich bleibt.

Diese Art des Würzens ist mir sehr wichtig. Niemals verwende ich fertig gemahlenen Pfeffer, denn sein Aroma, und nicht nur seine Schärfe, sitzt in seinen ätherischen Ölen. Und einmal freigesetzt, verduften die sofort. Man sollte meinen, dann wäre frisch in der Mühle gemahlener Pfeffer genauso aromatisch. Vielleicht ist er es. Aber die groben Trümmer der Pfefferkörner vermitteln einen ganz eigenen Reiz, wenn man sie zerbeißt. Sie verhindern den quasi konfektionierten Geschmack, der sich von fein gemahlenem Pfefferpulver gleichmäßig ausbreitet. Merke: Gleichmäßigkeit ist stets ein Indiz für Konfektion.

Knoblauch nach Belieben – falls keiner was dagegen hat

Mit dieser Gewürzmischung bestreue ich alle offen liegenden Innenseiten der Lammkeule. Zusätzlich landen dort auch noch 2 bis 3 EL Thymianblüten ohne Stängel und – sofern niemand Einspruch erhebt – beliebig viele durchgepresste Knoblauchzehen, das bedeutet zwischen 3 und 20 Stück.

Nun beginnt die Arbeit, die ich gerne anderen überlasse: Die Fleischlappen, die einstmals eine kompakte Keule waren, müssen zusammengebunden werden. Das notwendige Küchengarn hat der Metzger, die geschickteren Hände besitzt Barbara. Irgendwann ist der Fleischklumpen fest umwickelt und bratfertig. Jetzt hoffe ich, dass der Mörser noch eine Portion von meiner Gewürzmischung enthält. Damit bestreue ich das Fleischpaket, nachdem ich es vorher eingeölt habe.

Dann wird es auch in Olivenöl angebraten. Dazu setze ich einen gusseisernen Schmortopf auf den heißen Herd, schütte eine halbe Tasse Öl hinein, dann ist die Keule an der Reihe. Jetzt gilt es, Nerven zu behalten. Denn zu starke Hitze tut keinem Fleisch und keinem Fisch gut. Also sanft anbraten! Von allen Seiten und sehr oft umdrehen, bis der Fleischklumpen rundherum hellbraun ist. Damit er nicht so einsam und nackt im Topf liegt, habe ich das folgende Würzgemüse vorbereitet, das ich neben und um ihn herum platziere:

20 kleine, geschälte Schalotten; das Weiße und Hellgrüne einer Stange Lauch; 2 geschälte und halbierte Karotten; 1 fingergroßes Stück Sellerie (Stange oder Knolle); 4 mittelgroße, enthäutete Tomaten; 1 Bund Thymian. Diese Gemüse werden mit Meersalz gesalzen. Bevor sie neben dem Fleisch anbrennen, schiebe ich den Bräter ohne Deckel in den auf 150° vorgeheizten Backofen. Nach 15 Minuten ¼ l heiße Bouillon angießen. Die Temperatur auf 75° he runterschalten und 3 Stunden braten lassen. Das ist die langsame, die Niedrigtemperaturmethode.

Es geht auch schneller, indem ich die Temperatur bei 150° feststelle. Dann muss ich von Zeit zu Zeit nachschauen, ob die Keule genug Saft um sich herum versammelt hat. Auch könnte es notwendig sein, nach der Halbzeit einen Deckel auf den Bräter zu legen, damit das Gemüse nicht austrocknet oder gar verbrennt. Solche Imponderabilien sind der Preis dafür, dass der Braten bereits nach 80 Minuten gar ist. Mit der Niedrigtemperaturmethode gibt es solche Unwägbarkeiten nicht. Sie gart das Fleisch sanfter und gleichmäßiger. Es trocknet nie aus, bleibt sogar durchgehend rosa. Allerdings hat das beigelegte Gemüse keine Chance, weich zu werden.

Diesen Mangel zu beheben ist jedoch eine Kleinigkeit. Die Keule wird herausgeholt und warm gestellt. Den Topf stelle ich auf den Herd und gare das Gemüse nach, wobei ich Gelegenheit habe, es gründlich abzuschmecken und nachzuwürzen. Dazu nehme ich vielleicht etwas Tomatenmark, Balsamico-Essig, Portwein und begebe mich so auf das Gebiet der Saucenzauberei. Denn in diesem Moment gelten Regeln nicht mehr, da zählen nur die Fantasie und mein Mut, sie von der Leine zu lassen. Übrigens geschieht in der letzten Phase der heiß geschmorten Lammkeule dasselbe.

Sollte das Gemüse andererseits zerkocht sein, werde ich es durchsieben und aus dem Brei und dem Bratensaft die Sauce montieren. Auch hier sind letzte Korrekturen möglich und meistens auch angebracht. Und auch hier kann ich den Pfad der Orthodoxie verlassen und mich von der Fantasie leiten lassen.

Was nun den von seiner Königlichen Hoheit geschätzten Hammel angeht, so ist es mir soeben gelungen, eine veritable Hammelkeule aufzutreiben. Ich habe sie genau so zubereitet, wie ich es hier am Beispiel einer Lammkeule beschrieben habe. Leider war der Hammel ganz frisch geschlachtet, und der Metzger hatte ihm gut meinend alles Fett weggeschnitten und ihn entbeint. So schmeckte er überhaupt nicht nach Hammel, war zwar nicht trocken, aber doch ziemlich hart. Ein ärgerliches Resultat, aber eine wichtige Erfahrung.

Die nächste Hammelkeule werde ich kochen. Oder in einem Irish Stew garen.

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