Nach dreißig Jahren beginnt der bekannteste Feinschmecker der Nation noch einmal ganz von vorn – und erklärt der nachwachsenden Generation die Grundzüge der feinen Küche
Es ist so weit: Das große Lernen ist an seinem Ende angelangt. Die Generation der Feinschmecker hat den handwerklichen Teil des Kochens begriffen, die Produktsuche geübt und längst erkannt, dass Kochen und Lebensfreude eng zusammenhängen. Sie, die Amateure, sind zu Wissenden geworden. Bestaunt von der Familie und beneidet von Freunden, haben sie auch das Interesse der Medien auf gutes Essen und Trinken gelenkt.
Dreißig Jahre sind darüber vergangen. Dreißig Jahre sind, traditionell gerechnet, eine Generation. (Heute brauchen sie nur zehn Jahre, um von der Generation Golf zur Generation BlackBerry zu mutieren.) Tatsächlich hat diese ZEIT-Kolumne eine Generation von willigen Lesern zum Baum der Erkenntnis geführt, unter dem sie jetzt gelassen hocken und die Früchte ihres Hedonismus genießen. Es wäre zwecklos, weiterhin goldene Regeln der Kochkunst auf sie loszulassen. Sie kennen sich aus. Den Unterschied zwischen Pfeffermühle und Mörser muss ich nicht mehr erklären.
Versuche ich es trotzdem, zeigen sie nur mit dem Daumen hinter sich. Dort, maulen sie mit vollem Mund, fände ich die Kinder und Kindeskinder, die seit vielen Jahren von den kulinarischen Fertigkeiten profitierten, welche sie als Heranwachsende wie selbstverständlich genossen hätten. Aber nun, mit dem ersten eigenen Herd in der frisch renovierten Wohnung, fehle es ihnen an dem Wissen, was sie anstellen müssten, um so gut zu kochen wie ihre Mütter, Tanten, Groß- und Schwiegermütter. Auch der jeweilige Lebensabschnittspartner mit den zwei linken Händen und den erwartungsvoll aufgerissenen Augen erhofft sich ein erstklassiges Essen, wenn schon der Herd so erstklassig sei.
Das ist der Moment, wo es tausendfach kriselt in unseren jungen Generationen. Hier gilt es einzugreifen und die Ignoranten zu Mitwissern zu machen. Ein Neubeginn ist nötig. Also singen wir das schöne Lied vom guten Kochen noch einmal von vorne.
Damit ist das Thema des hier beginnenden Sommerseminars benannt. Die kulinarisch fortgeschrittenen Leser widmen sich besser der Rätselecke, für ihre Nachfolger aber fange ich gleich mit zwei scharfen Sachen an: Messer und Zwiebel.
An scharfe Messer zu kommen ist einfach. Für einen oder zwei Hunderter kriegt man das Beste, was der Markt zu bieten hat. An dieser Stelle lässt sich das verfemte Product-Placement nicht vermeiden, wenn meine jungen Leser nicht ratlos bei Tchibo landen sollen. Also: Für Messer steht der Name Dick. Einmal der Spezialist für japanische Messer, die Firma Dick in 94.526 Metten, sowie die Stuttgarter Messerschmiede Dick für deutsche Produkte.
Aber Achtung! Der Besitz eines unglaublich scharfen Messers kann schnell in Frust umschlagen, wenn man nicht weiß, dass es sehr oft geschärft werden muss. Nämlich während des Kochens mehrmals am Wetzstahl, auf dem Wasserstein täglich. So ein Wundermesser sollte eine 21 Zentimeter lange Klinge haben und darf eine Spülmaschine nie von innen sehen.
Die in unserer Küche beliebteste Nahrung ist die Zwiebel. Der fortschreitende Küchenjunge erkennt sehr bald, dass sie in der feinen Küche der Schalotte Platz zu machen hat, welche weniger aufdringlich und daher delikater ist. Aber in feine und feinste Würfel geschnitten werden beide auf die gleiche Weise: erst halbieren, dann die Schale weg, dann mit der Schnittfläche auf die Arbeitsplatte legen. Niemals eine intakte, das heißt runde Zwiebel (oder ein anderes rundes Gemüse wie Kohlrabi, Rübchen, Sellerie) zu schneiden versuchen! Es besteht Rutschgefahr, und dann fließt Blut. Also immer halbieren und auf die Schnittfläche legen.
Beim Zerlegen der scharfen Knolle in winzige Partikel zeigt sich zum ersten Mal sehr eindrucksvoll die Wichtigkeit eines guten Kochmessers. Nur wenn es rasiermesserscharf ist, dringt es in die Schalotte ein, als wäre sie ein Stück Butter. Ein besonderer Druck ist nicht nötig, was wiederum die Gefahr des Abrutschens ausschließt. Das gilt auch für die Tomate mit ihrer unangenehm zähen Haut. Muss ich Druck ausüben, um einen Schnitt anzubringen, ist das Messer bereits nicht mehr scharf; es muss geschärft werden.
Ein Vorgeschmack auf die rauschhafte Freude in der Küche
Diese scheinbare Nebensächlichkeit beeinflusst den Spaß am Kochen ganz enorm! Wenn schon der erste Schritt bei der Küchenarbeit nicht richtig klappt, besteht kaum Hoffnung auf ein glückliches Ende. Im Fall der Schalotte sind das perfekt geschnittene, kleinste Würfel von nur 2 Millimeter Kantenlänge.
Dazu bringe ich mit der Messerspitze in die flach liegende Zwiebelhälfte dicht nebeneinander saubere Einschnitte an. Dann von der Seite her – also waagerecht – zwei Schnitte. Alle Einschnitte aber so, dass die halbe Schalotte nicht auseinander fällt, das bedeutet, sie darf nicht völlig zerteilt werden. In die winzigen Würfel zerfällt sie erst jetzt, wenn ich von oben, quer zu den bereits angebrachten Einschnitten, das Messer wie beim Wurstschneiden durch den Korpus ziehe.
Wer diese handwerkliche Übung beherrscht, bekommt eine Ahnung von der rauschhaften Freude, welche Küchenarbeit machen kann. Außerdem erkennt er sofort, dass keine Maschine eine Schalotte so fein hacken kann wie er, und er wird entsprechende Gerätschaften, die leider in jeder Küche vorhanden sind, unverzüglich in den Müll befördern.
Warum aber muss denn eine Schalotte so fein gewürfelt werden? Geht’s nicht auch ein bisschen gröber? Leider nicht in der Sphäre der Kochkunst. Denn wozu werden sie gebraucht, die winzigen Zwiebelpartikel? Überwiegend in einer Vinaigrette (das ist eine Salatsauce auf Essigbasis), weil der Salat zur deutschen Küche gehört wie die Angst vor Fischgräten. Aber auch fast alle Buttersaucen brauchen das, was die Kochschulen »feingewiegte Zwiebelstücke« nennen und damit Dilettantismus ver breiten, weil sich feingewiegte Zwiebeln grob und halbroh im Mund bemerkbar machen.
Übrigens werden die Benutzer scharfer Kochmesser beim Zwiebelschneiden unmittelbar belohnt. Weil die feinen Einschnitte den Zwiebelsaft nicht so hervorlocken wie ein »normales« Messer, fließen auch die Tränen kaum oder gar nicht!
Die Zwiebel hat noch eine Eigenschaft, an der man schlechte Küche erkennt. Sie verbrennt gerne und verdirbt durch die dabei entstehende Bitterkeit jede Speise. Unsere populären Bratkartoffeln sind ihr häufigstes Opfer. Sowieso nimmt sie sich alles vor, was in der Pfanne auf dem heißen Herd gebraten wird. Die angehende Hausfrau lernt dadurch, dass es vielleicht besser wäre, die Hitze zu drosseln, und kommt schließlich zu der Erkenntnis, dass das lodernde Herdfeuer, das zischende Fett und die heftige Rauchentwicklung nur Indizien für den Mythos vom urigen, handfesten Brutzeln sind, wie es bei kochenden Männern ebenso beliebt wie küchentechnisch antiquiert ist.
Aus Gründen der Bekömmlichkeit, aber auch um den Produkten nicht ihren Eigengeschmack zu ruinieren, ist die Vollgasküche passé. Sensible Köche haben uns gezeigt, wie es geht. Nämlich laaangsam! Was hier keineswegs Zeitvergeudung bedeutet, sondern nur einen vernünftigen Umgang mit den Dingen, die wir mit Genuss essen wollen.
In einigen Regionen wird das »kross gebratene« Stück Fleisch als Höhepunkt der Kochkunst geschätzt. Das sind genau jene Landstriche, die auf der Landkarte der Kulinarik durch leere Stellen gekennzeichnet sind. Dort schwärmen die Mannsbilder von der »krachenden Schwarte« eines Schweinsbratens wie die Chinesen von frittierten Entenfüßen. Wogegen nichts einzuwenden ist: Die Geschmäcker sind nun mal verschieden.
Deshalb gehört meine Sympathie der guten bürgerlichen Küche. Nicht ihren veralteten Mehlsaucen, nicht den Rezepten für blähende Eintöpfe. Sondern jenen Suppen und Schmorbraten, die zum Bestand jeder Regionalküche gehören, welche durch fortschrittliche Köche verfeinert wurde und ständig weiter verfeinert wird.