Siebecks Sommerseminar 2006 – Fleischeslust

Rindfleisch, ganz einfach: In seinem Anfängerseminar erklärt Wolfram Siebeck diesmal, was ins Tatar gehört, wie man Ossobuco schmort und Königsberger Klopse kocht

Die traditionelle Reihenfolge eines Menüs lautet: zuerst der Fisch, dann das Fleisch. Sie scheint zwangsläufig, weil logisch: Der Geschmack des Fleisches ist schließlich stärker. Aber falsch: Ein Lachs mit einer Sauce hollandaise setzt sich mühelos gegen einen Kaninchenrücken durch. Und einem Fischcurry (mit Äpfeln, Rosinen, Mandeln und Reis) lässt ein kluger Gastgeber nichts folgen, was sich gegen den deftigen Fischtopf durchsetzen soll. Dominierend nämlich sind immer nur die Saucen, welche jede Art von Fleisch hinterlässt, wenn es vom rohen in den gegarten Zustand übergeht (ausgenommen ist gekochtes Fleisch, das nur eine Bouillon hinterlässt). Rohes Fleisch dagegen ist wie roher Fisch ziemlich wertfrei. Erst das Würzen macht beide zu den von uns erwarteten Bestandteilen eines Menüs.

Im Mittelalter hat man diese Reihenfolge nicht gekannt. Damals waren exotische Gewürze exorbitant teuer und somit Statussymbole. In wohlhabenden Haushalten wurden sie in unglaublichen Mengen an und über alles gestreut. Alle Speisen wurden gleichzeitig aufgetragen und ebenso durcheinander gegessen. Diese Sitte hielt sich übrigens noch bis ins 19. Jahrhundert, als sie vom »russischen Service« ersetzt wurde, der die uns vertraute Ordnung in mitteleuropäische Tischsitten brachte.

Die einfachste und bei uns wahrscheinlich populärste Fleischspeise ist das Gehackte. Und davon ist die puristischste Version das rohe, durchgedrehte, mit Pfeffer, Salz und Worcestersauce und eventuell mit einem rohen Ei vermengte Rinderfilet, auch Beef Tatar genannt. Einen gewissenhaften Metzger vorausgesetzt, ist dieses Tellergericht tatsächlich von schlichter Großartigkeit. Dass es in den letzten Jahrzehnten aus der Mode kam, verdanken wir der BSE-Psychose und dem hysterischen Gesundheitstick der Verbraucher (von deren Geiz gar nicht zu reden). Es ist ein weiteres Beispiel für die verschwindende Vielfalt in unserer Küche.

Hier wäre jetzt der Platz, um von den köstlichen Innereien zu sprechen, die bei uns mit einem Bann belegt sind wie der Sex unter Queen Victoria. Gäbe es keine Hunde, hätten deutsche Metzger nicht einmal mehr Kutteln im Angebot. Doch die Beschreibung von Kutteln, Bries, Hirn, Nieren und dergleichen hebe ich für später auf. Die Koalition der Unwilligen ist mir zu mächtig.

Beim Hackfleisch hingegen habe ich alle auf meiner Seite. (Vermute ich.) Denn die Wirsingroulade ist der Deutschen liebstes Sonntagsessen, gefolgt vom Hamburger, von Buletten und Königsberger Klopsen. Letztere haben ihre Renaissance nicht etwa der Wiedervereinigung zu verdanken, sondern der Tatsache, dass es sie fix und fertig gekocht und haltbar gemacht in Konserven gibt sowie in den Tiefkühltruhen. Im Zuge der Regionalisierung (als notwendige Reaktion auf die Globalisierung) sind Königsberger Klopse in allen Kochbüchern neuen Datums zu finden – wenn auch in den unterschiedlichsten Variationen, weil es dabei immer um die Fleischsorte geht. Die einen sagen: Nur Kalbfleisch! Andere finden, ein Gemisch von Rind und Schwein sei besser, oder sie vermischen alle drei Sorten oder begnügen sich mit Schweinefleisch und Semmeln. Ob und wie Kant sie in Königsberg gegessen hat, spielt dabei keine Rolle. Traditionen sind beim Kochen eher hinderlich.

Wenn wir diesen Klopsen einen angesehenen Platz in unserer Küche wünschen, so sollten wir das feinste Produkt verwenden, und das stammt nun mal vom Kalb.

Keine ordinären Buletten, sondern kleine, zarte Klößchen!

Also muss mir der Metzger 500 g Kalbfleisch durchdrehen, und zwar Fleisch von der Schulter. Die enthält einige notwendige Fettbestandteile, derentwegen in neuen Rezepten das Schweinefleisch auftaucht. Ich will aber keine ordinären Buletten essen, sondern kleine, zarte Klößchen. Auf keinen Fall dürfen sie gehackte Zwiebeln enthalten, die ebenfalls von den Schweinefreunden empfohlen werden. Merke: Königsberger Klopse waren nie deftige Fleischkugeln, sondern eine in der deutschen Küche selten feine Variante der weltweit gekochten Fleischklöße.

Für 4 Personen genügen 500 g durchgedrehtes Kalbfleisch. Das wird vermischt mit 2 Semmeln ohne Rinde, 2 Eigelb, 1 TL abgeriebener Zitronenschale, Muskat, Pfeffer, Salz und 20 Sardellenfilets. Diese Filets werden mit Küchenkrepp abgetupft und in sehr kleine Stücke geschnitten. Die Semmeln gewürfelt und in Milch eingeweicht, danach ausgedrückt und durch den Fleischwolf gedreht. Alles vermischen. 1 l klare Kalbsbrühe zum Kochen bringen, aus der Fleischmasse kleine Bällchen formen und in zwei Partien in die Brühe legen. 8 Minuten ziehen lassen, herausfischen und warm stellen.

Übervorsichtige Anfänger können Folgendes machen: Sie formen einen Probeklops und legen ihn allein in die köchelnde Brühe. Ist er gar, kontrollieren sie, ob er richtig – das heißt: genügend – gewürzt ist. Wenn nötig, kann jetzt bei der rohen Masse noch korrigiert werden.

Sind alle Klopse gar, widme ich mich der Sauce. Dazu schütte ich ein Viertel der heißen Brühe zusammen mit 250 g Sahne in eine tiefe Pfanne und koche die Flüssigkeit um die Hälfte ein. Neben dem unvermeidlichen Salz würze ich mit etwas Zitronensaft und gebe 100 g kleine (!) Kapern in die Sauce. Kein Mehl, Mondamin oder sonstige Bindemittel! (So etwas sollte man sowieso ein für allemal vergessen.) Zu dieser würzigen Speise serviere ich Reis und einen nicht zu jungen Weißwein.

Manche Esser mögen keinen Reis, laufen aber meilenweit für eine Portion Nudeln. Sie sind meist Italienfans, für sie folgt hier ein Traumessen: Ossobuco. Dazu brauche ich 6 Beinscheiben vom Kalb. Sie sollten je 4 cm dick sein; aber das weiß der Metzger. (Normalerweise genügt 1 Scheibe pro Person. Aber wo die Verfressenheit mit am Tisch sitzt…)

Zunächst brate ich die Scheiben in einer Pfanne an: Ich erhitze Olivenöl und lege eine gut gesalzene Beinscheibe hinein. Während sie bei mittlerer Hitze Farbe annimmt, würze ich die zweite Seite ebenfalls und drehe das Fleisch herum. Ist es auf beiden Seiten angebraten, stelle ich die Fleischscheibe senkrecht auf ihren Rand, damit der auch von der Hitze der Pfanne profitiert.

Die angebratenen Scheiben lege ich in den vorgewärmten Bräter, der groß genug ist, dass die sechs Beinscheiben bequem nebeneinander liegen können, und stelle ihn bei 80° in den Ofen. Aber nicht, ohne folgende Dinge über und neben das Fleisch gelegt zu haben: 3 enthäutete und gestückelte Tomaten, 2 Karotten und 1 Lauchstange, gewaschen und in Scheiben geschnitten, 20 kleine Schalotten und 6Knoblauchzehen, beides enthäutet, 6 Sardellenfilets, 1 Bündchen frischen Thymian. (Das alles habe ich zuvor in der benutzten Bratpfanne in frischem Öl halbgar gebraten. Dabei ist darauf zu achten, dass der Bratensatz nicht anbrennt, sondern sich auflöst. Also mit dem Holzschaber arbeiten! Etwas Wein muss für die notwendige Feuchtigkeit sorgen und 2 zerdrückte Chilischoten für die unerlässliche Schärfe.)

Weiterer Weißwein ist nötig, damit die Fleischscheiben zur Hälfte im Feuchten liegen. Dann den Deckel auflegen und im Ofen drei bis vier Stunden schmoren lassen. Nach einer Stunde 20 grüne Oliven und einige Streifen Zitronenschale hinzufügen, die Flüssigkeit kontrollieren und in den Keller gehen.

Ein fruchtiger Rotwein, nicht unbedingt aus Italien, wäre der ideale Begleiter für dieses aromatische Gericht.

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