Siebecks Sommerseminar 2006 – Butter aufs Haupt

Glasierte Möhren sind eine ideale Beilage zum Braten. In seinem Anfängerseminar erklärt Wolfram Siebeck, wie dieser vorzüglich gelingt

Vorige Woche spielte an dieser Stelle das Garen bei niedriger Temperatur eine Rolle, ohne dass ich extra darauf aufmerksam gemacht habe. Das geschieht heute. Denn diese Garmethode hat bei meinen Lesern viele Fragen nach ihrem Geheimnis ausgelöst. Dabei gibt es keins. Unsere Urgroßeltern haben täglich damit gearbeitet. Sie ist die vernünftigste Art, mit Hitze und dem Fleisch auf natürliche Weise umzugehen.

Für Vegetarier ist sie uninteressant, weil man Gemüse bei niedriger Temperatur nicht gar kriegt. Fleisch hingegen wird bei 63 Grad Celsius gar. Es ist das dem Fleisch innewohnende Eiweiß, auf das es ankommt. Und das braucht keine große Hitze, um zu stocken. Man kann das mit einem Spiegelei ausprobieren. Wenn Autofahrer behaupten, ihr Wagen sei so heiß, dass man auf der Motorhaube ein Ei braten könne, so ist das nichts als die Wahrheit. Das Gleiche gilt für Fische, die überwiegend aus Eiweiß bestehen. Zwanzig Minuten in 63 Grad heißem Wasser, und die Forelle ist gar. (Und nicht verbogen und nicht geplatzt!)

Ein Stück Fleisch reagiert nicht anders. Allerdings ändert sich die Garzeit entsprechend seiner Größe. Ein ganzes Rinderfilet wird in 20 Minuten nicht gar, das versteht sich von selbst. Also schiebe ich es in den auf 70 Grad vorgeheizten Ofen und warte. Zwei Stunden mindestens. Vielleicht auch drei Stunden. Vielleicht auch länger. Diese Methode hat den Vorteil, dass bei ihr nichts austrocknet und nichts verbrennt. Ich weiß von Küchenchefs, die stecken einen großen Braten über Nacht in den Ofen, wenn sie ihn am nächsten Mittag servieren wollen. Die Niedrigtemperaturmethode machts möglich. Ducasse beschreibt in einem seiner schönen Bücher, wie er ein Stück Fleisch drei Tage bei 63 Grad hat garen lassen!

Nun stehen hier schon zwei verschiedene Temperaturangaben. Was hat das zu bedeuten? 63 oder 70 Grad, was ist richtig?

Wahrscheinlich beides. Extremköche gehen bis an die untere Grenze, Amateure wie ich zittern schon bei 70 Grad. Deshalb die häufigen Fragen der Leser, die alle zittern. Wird der Braten dabei gelingen? Er gelingt nicht nur, er wird besser, als er je mit der Vollgasmethode werden kann: nämlich innen gleichmäßig rosa von Rand zu Rand und so saftig, wie ein rosa gebratenes Stück Fleisch nur sein kann. Die großen Roastbeefs auf festlichen Büffets sind so entstanden.

Nun ist das Garen im mittelheißen Ofen zwar der Hauptteil des Kunststückes, aber ihm geht der erste Schritt voraus. Das bratfertige Stück wird sehr gründlich mit Salz eingerieben und gepfeffert. Später, wenn das Fleisch gar ist, nützt Nachsalzen nichts mehr. Deshalb von Anfang an gleich die richtige Dosis! Sodann lässt man in einem flachen Bräter das Fleisch von allen Seiten anbraten. Eine Butter-Öl-Mischung ist empfehlenswert, weil sie nicht so leicht verbrennt wie reine Butter. Immerhin zwingt sie die Köchin, das Fleisch sehr vorsichtig anzubraten. Denn es sollte nicht schwarz oder auch nur dunkelbraun werden. Braun allerdings schon, von allen Seiten, wozu man es mit Hilfe von Löffeln und Gabeln auch hochkant stellen wird. Insgesamt kann dieses Anbraten 20 bis 30 Minuten dauern. So speichert der künftige Braten eine ganz schöne Hitze an seinen Oberflächen. Und die sorgt dafür, dass im Ofen das kleine Wunder geschieht: Die Hitze dringt von außen ins Innere des Fleischstückes vor und gart dabei, was ihr in den Weg kommt. Da sie aber nicht heißer sein kann als der das Fleisch umgebende Ofen, bleibt es bei maximal 70 Grad. Und deshalb spielt es auch keine Rolle, ob diese Bratenwerdung in drei oder fünf Stunden geschieht. Es ist ein chemischer Vorgang und somit ebenso geheimnisvoll wie normal.

Wir Amateure fragen verwundert: Ist das alles? Natürlich nicht. Weil wir Angsthasen sind, legen wir dem Braten alle 60 Minuten ein Stück Butter aufs Haupt oder, wenn wir ihn ein- oder zweimal herumgedreht haben, auf die Rückseite.

Die Niedrigtemperaturmethode ist für jedes Fleisch geeignet. Auch für Huhn

Jetzt kommt die fällige Frage nach der Sauce. Die ist hier nicht mehr als ein Bratensaft. Wie der entsteht? Durch die Butter, aber auch durch das beigelegte Gemüse. Wie wir gehört haben, wird Gemüse jedoch bei niedriger Temperatur nicht weich; wie also kriegt man es zur Saucenproduktion?

Theoretisch gar nicht. Praktischerweise werfe ich das Gemüse deshalb in den sehr heißen Bräter, wenn das Fleischstück rundherum braun ist. Dort wird es im Bratfett unter Zuhilfenahme von etwas Wein oder Bouillon gedünstet (während ich das Fleisch herausgenommen und warm gestellt habe) und dann zusammen mit dem Braten ins Rohr geschoben. Ohne Deckel, bitte, hier wird ja nicht geschmort!

Nun stellt sich noch die Frage, mit welchem Fleisch kann man das machen? Mit jedem! Sogar Geflügel lässt sich mit der Niedrigtemperaturmethode gar kriegen. Es versteht sich von selbst, dass diese schonende Art des Garens auch den menschlichen Organismus schont. Sie ist das genaue Gegenteil des Grillens, nämlich ruhig, sauber und bekömmlich. Aber ebenso spektakulär. Und zwar in dem Moment, wenn ein solcher Braten vor den Augen der Gäste angeschnitten wird und ein marzipanrosa, butterzarter Korpus zutage kommt, wie man ihn noch nie gesehen und nie zuvor probiert hat.

Die Entscheidung für ein passendes Gemüse dürfte leicht fallen. Ich koche am liebsten Blumenkohl mit Safran zum Kalb und frische Erbsen oder Bohnen zu anderen Fleischsorten. Den Blumenkohl zerlege ich auf unübliche Weise in kleinste Röschen, denen nicht die Spur eines Strunks anhaften darf, also in Einzelteile, so klein wie Erbsen. Die werden wenige Minuten in Salzwasser blanchiert. Ich lasse sie abtropfen und dünste sie in einer Pfanne in viel Butter. Während sie gar werden, streue ich Safranpulver über die kleinen Blumenköhler und schüttele die Pfanne. Etwas gesalzen wird das jetzt gelbe Gemüse auch, und dann ist es schon fertig. Ob ich es mit Zitronensaft beträufele, entscheide ich erst, nachdem ich probiert habe. Der für Blumenkohl typische Kohlgeschmack dürfte jedenfalls verschwunden sein, das verdanke ich dem Safran, mit dessen Hilfe ich den Kohl in ein elegantes Gemüse verwandelt habe, das ideal zum zarten Kalbsrücken passt.

Was auch passt, sind glasierte Karotten, das Standardgemüse der ambitionierten bürgerlichen Küche. Dazu brauche ich pro Portion 2 große Karotten, geschält und in 3 mm dünne Scheiben geschnitten, und eine große Pfanne. Darin schwitze ich die Karotten in viel Butter an, bestreue sie mit 1 oder 2 EL Zucker und gieße mit Bouillon oder Wasser auf, bis alle fast bedeckt sind. Wichtig ist, dass sie nicht hoch übereinander liegen. Deshalb muss die Pfanne (oder der Topf) groß genug sein. Eine Prise Salz kommt hinzu, und dann dürfen die roten Scheiben zugedeckt gar werden. Das dauert nicht lange; bei den letzten 5 Minuten ist meine Aufmerksamkeit gefordert. Denn jetzt sollen die Scheiben glasiert werden.

Das geschieht, indem die Flüssigkeit verkocht und die Karotten mit einem süßen, butterigen Film überzogen werden. Eventuell muss ich während dieser Prozedur nachzuckern und weitere Butter ans Gemüse geben. Dies ist der Moment, wo ich ständig probiere. Es ist möglich – aber nicht notwendig –, abschließend fein gehackte Kräuselpetersilie über die Karotten zu streuen.

In jedem Fall sind glasierte Karotten ein köstliches Gemüse, das von den Küchenchefs sträflich vernachlässigt wird. Umso erfreulicher ist es, wenn man ihm im Privathaus begegnet.

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