Plädoyer für die Kartoffel

Wolfram Siebeck hat am Ende seines Sommerseminars für Anfänger versprochen, dass er es sporadischen fortsetzen wird. Hier ist die erste Lektion: Warum Kartoffeln interessanter sind als Nudeln.

Nudeln? Hat jemand Nudeln gesagt? Welch altmodisches Wort! Es muss aus der Zeit stammen, als man Tat noch mit Th schrieb. Junge Menschen sagen heute Pasta.Ich habe sie noch kennen gelernt, die Nudeln genannten Teigwaren. Meistens waren es Makkaroni. Sie wurden von Rabenmüttern gern mit Béchamelsauce übergossen. Es gab nur eine noch sadistischere Methode, den häuslichen Frieden durch Nudeln zu zerstören: indem man Nudeln in Milch kochte und diese ultimative Ekelspeise den Kindern dann schmackhaft zu machen versuchte.

Merkwürdigerweise mögen mittlerweile auch Erwachsene Nudeln. Manche mögen sie, weil sie jetzt Pasta heißen, manche, weil sie billig sind, manche auch, weil man sie lutschen kann. In gewissen Kreisen wird Pasta selbst gemacht. Dafür gibt es praktische Maschinen und viele Rezepte. Was es aber auch gibt, sind Spaghetti und Bandnudeln aus Nudelfabriken, in vielen Variationen, die genauso schmecken wie auf dem Küchentisch handgemachte Pasta. Dass Letztere von den Handarbeitern trotzdem vorgezogen werden, ist verständlich. Schließlich schmecken auch die im eigenen Garten gezogenen Zucchini und Tomaten besser als die vom Biobauern. Glauben die Gartenbesitzer jedenfalls.

Ich bin sicher, dass es sich mit den Kartoffeln genauso verhält, die vor lauter Pasta-Mode ein wenig in Vergessenheit zu geraten drohen. Es ist alles eine Frage der Herkunft, des Bodens und der Pflege, die ein Kartoffelbauer seinen Feldfrüchten angedeihen lässt. Weinkenner sind mit diesem Problem vertraut. Sie haben dafür aus dem Französischen das Wort terroir übernommen.

So viel ist sicher: Man kann, muss aber nicht, seine Kartoffeln im eigenen Garten pflanzen und ernten. Die Vielfalt der Sorten hat wunderbarerweise zugenommen, die Biobewegung ist grenzüberschreitend, und so gibt es feine Sorten inzwischen auch in den Supermärkten.

Kartoffeln haben eines mit Nudeln gemeinsam: Die Armen müssen sich daran satt essen. Allerdings kann man mit Kartoffeln viel mehr anstellen als mit Nudeln. Diese sind nur variabel durch die Saucen, die man über sie gießt. Nudelpuffer dagegen, Nudelklöße oder Nudelpüree stehen in keinem Kochbuch. Kartoffelspeisen aber bilden eine eigene Welt innerhalb der Küche.

Vor fünf Jahren wäre es noch notwendig gewesen, an dieser Stelle die verschiedenen Kartoffelsorten aufzulisten. Das ist heute unmöglich: Es gibt zu viele. Die Rückkehr der Vielfalt durch individuelle Produktionen verdanken wir ursprünglich der Biobewegung (und den anspruchsvollen Konsumenten).

Für die meisten Arten der Kartoffelzubereitung eignen sich festkochende Sorten am besten. Mehlige Kartoffeln hatten ihre große Zeit, als die Deutschen noch Wert auf soßige Gerichte legten. Mit der kulinarischen Aufklärung ist diese Vorliebe erkaltet. Wir mögen unsere Kartoffeln klein und ungeteilt, vor allem wenn sie jung sind und ungeschält gegessen werden können.

Ihre sehr dünne Schale wird nur gebürstet, dann werden sie im Ganzen gekocht und, nachdem das Wasser abgegossen wurde und die Kartoffeln trocken sind, in reichlich Butter in einer Pfanne gebraten, wobei sie mit grobem Meersalz bestreut werden. Es sollen dabei keine Bratkartoffeln entstehen, also behutsam mit der Hitze umgehen! Da sie bereits im Wasser gar geworden sind, genügen wenige Minuten in der Pfanne. Abschließend können sie mit gehackter Petersilie bestreut werden.

Kartoffeln allein können schon ein komplettes Essen sein, nicht nur, wenn man sie mit Quark isst. Dieses Relikt aus der Armeleuteküche ist zwar immer noch relativ populär, aber kein Beispiel eines anspruchsvollen Essens. Das finden wir beim Kartoffelgratin schon eher. Da die Kartoffelscheiben beim Garen nicht zerfallen dürfen, braucht man für Gratins unbedingt eine festkochende Sorte. Für 4 Personen ungefähr 1 Kilo. Die Kartoffeln werden geschält und in gleichmäßig dicke Scheiben von der Stärke einer Euromünze geschnitten.

Nun werden in einer tiefen Schüssel 1 ganzes Ei und 1 Eigelb gründlich verquirlt, je 1/4 Liter Milch und Sahne dazugegossen, dann wird mit Pfeffer und Salz nicht zu knapp gewürzt. Hier sind wir beim wichtigsten Detail dieses Rezepts angelangt. Denn die Milch-Eier-Mischung muss die Kartoffelscheiben ausreichend würzen. Ich gebe jetzt 1 große Tasse geriebenen Käse dazu, und zwar vorzugsweise Gruyère oder einen ähnlichen Alpkäse. Parmesan ist ungeeignet. Wer Knoblauch liebt, kann noch eine oder mehrere Zehen in die Flüssigkeit drücken. 1 Prise Muskat sollte nicht fehlen.

Inzwischen habe ich eine Gratinform aus Gusseisen oder feuerfestem Porzellan gründlich mit weicher Butter tapeziert. Dahinein schichte ich nun die Kartoffeln; sie sollten nicht höher als 4 cm liegen. Von der würzigen Milch-Eier-Käse-Mischung gieße ich so viel darüber, dass die Flüssigkeit sichtbar wird, ohne die Kartoffeln zu bedecken. Abschließend setze ich kalte Butterstücke darauf und schiebe die Form in den auf 180° vorgeheizten Backofen, wo das Gratin eine knappe Stunde lang gart. Sollte die Oberfläche des Gratins frühzeitig braun werden, decke ich sie mit Alufolie ab. Zwischendurch kann ich die Form aus dem Ofen nehmen und die Kartoffeln auf ihren Garzustand überprüfen, denn ein Kartoffelgratin ist kein empfindlicher Kuchen oder ein Soufflé.

Wirklich kritisch ist nur die Würzung am Beginn. Die kann man nicht nachbessern, man muss ein Gefühl dafür haben, wie viel Salz die Kartoffeln vertragen. (Meistens mehr, als man denkt!) Merke: Ein fades Gratin ist ein missratenes Gratin.

So ein Gratin lässt viele Varianten zu. Ohne Eier und ohne Käse wird es zum Gratin Dauphinois, der klassischen Beilage zu Lammrücken und Rinderkotelett. Da es in der Gratinform an den Tisch gebracht wird, gehört es zur rustikalen Küche. Stehen aber Kerzenleuchter auf dem Tisch und ist dieser festlich eingedeckt, empfiehlt es sich, das Gratin in Portionsschalen zu gratinieren und jedem Gast eine neben den Teller zu stellen.

Eine Verfeinerung des Rezeptes können getrocknete Steinpilze sein, welche erst eingeweicht und dann mit gehackten Schalotten und Zitrone in einer Pfanne gebraten werden. Sie dienen dem Gratin als Füllung, indem man zuerst die Hälfte der Kartoffelscheiben einlegt, darauf die vorbereiteten Steinpilze platziert und mit den restlichen Kartoffeln bedeckt, worauf die Eier-Milch-Käse-Mischung angegossen wird.

Bratkartoffeln werden je nach regionaler Tradition auf sehr verschiedene Arten zubereitet. Ein Grundsatz gilt aber für alle: Es sollten nur am Vortag gekochte Kartoffeln verwendet werden. Die werden erst kurz vor dem Braten gepellt und in möglichst dünne Scheiben geschnitten.

Worin sie nun gebraten werden, ist eine Frage der Gewohnheit. Ich nehme dazu eine Mischung aus Butter und Olivenöl oder, je nach Laune, klein gewürfelten Speckstückchen und Butter. Während des Bratens werden die Kartoffeln mit Salz und Pfeffer gewürzt, aber auch mit Kümmel, den ich vorher im Mörser etwas zerkleinert habe. Soll es eine deftige Speise werden, schneide ich den Speck nicht ganz so klein und gieße, wenn die Kartoffeln fast fertig sind, 2 oder 3 mit Salz verquirlte Eier in die Pfanne. Dann heißt es aufpassen, denn die Eier stocken schnell.

Professionelle Köche lassen ihre Kartoffeln in einer Eisenpfanne gern im Backofen braten. Sie gewinnen dadurch Zeit, sich anderen Speisen zu widmen, die sie gerade in Arbeit haben. Ich halte nicht viel vom Backen im Ofen: Die Kartoffeln schmecken danach immer wie aufgewärmt.

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